8. April 2070

 

Liebe Menschen aus der Vergangenheit,

ich bin Aishe. Ich bin 10 Jahre alt und gehe in die 5. Klasse. Ich schreibe euch aus dem Jahr 2070. Das ist seltsam, ich weiß, und sicherlich wesentlich interessanter für euch als für mich. Denn alles was ich beschreibe kenne ich ja und ist ganz normal für mich, während es für euch wahrscheinlich ziemlich komisch und fremd ist.

Wie sieht also mein Leben im Jahr 2070 aus?

Gemeinsam mit meinen Eltern wohne ich in einem Mehrfamilienhaus – gleich um die Ecke ist ein kleiner Spielplatz. Früher war das mal ein Parkplatz für 12 Autos. Aber seitdem die Stadt neu gestaltet wurde, sind dort, wo früher Parkplätze für Autos waren, heute Parks für Menschen. Das ist sehr schön, vor allem im Sommer, wenn es in unserer Wohnung schon mal ziemlich warm werden kann. Dann gehen wir einfach raus in den Park, meine Eltern setzen sich mit unseren Nachbarn in den Schatten der Bäume und meine Freunde und ich spielen. Wenn wir nach einer Weile durstig sind vom Herumlaufen, gehen wir einfach zum nächsten Trinkbrunnen, die überall in der Stadt verteilt sind. (1)

Von allen Jahreszeiten mag ich den Winter am wenigsten, weil es da häufig regnet. Das finde ich nicht so schön, viel lieber hätte ich mehr Schnee. Aber wirklich schneien, also so sehr, dass man auch eine richtige Schneeballschlacht machen kann – das passiert, wenn überhaupt, nur alle paar Jahre. (2)

Von Montag bis Freitag habe ich Schule. Allerdings heißt das nicht, dass ich auch jeden Tag wirklich mit meinen Mitschülerinnen und Mitschülern in einem Klassenraum sitze. Denn zwei Tage die Woche, dienstags und donnerstags, sind besonders. Je nachdem, welche Themen wir gerade behandeln, finden da Exkursionen statt. Letzte Woche Dienstag zum Beispiel waren wir am Bachufer und haben Bodenproben entnommen. Die durften wir dann analysieren. Dabei haben wir gelernt, wann ein Boden genügend Nährstoffe hat, damit Pflanzen darin wachsen können und was die Pflanzen sonst noch alles so brauchen, um zu überleben.

Ein paar Wochen davor waren wir bei einer Windenergieanlage – so riesig hatte ich sie mir nicht vorgestellt. Wir haben uns damit beschäftigt, wie die Bewegungsenergie des Windes genutzt werden kann, um Strom zu erzeugen. Auch haben wir erfahren, dass früher, also zu eurer Zeit, viel Strom mithilfe von fossilen Energieträgern und Kernenergie gewonnen wurde. Das Verbrennen von Kohle, Öl und Erdgas führte unter anderem dazu, dass viel zu viel Kohlendioxid ausgestoßen wurde. Das hat sich zum Glück geändert. Ungefähr zu der Zeit, in der ihr gerade lebt, also in den 2020ern haben die Menschen beschlossen, endlich wirksam gegen die Klimakrise vorzugehen. Politiker*innen und Firmen haben bereits in den 20er Jahren konkrete und effektive Maßnahmen eingeleitet, um eine Energiewende herbeizuführen. Heute ist sie längst abgeschlossen und Teil des Geschichtsunterrichts, so wie für Euch das Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre.

Das war zwar nicht leicht und stieß vor allem zu Beginn auf starken Widerstand von vielen, aber irgendwann verstanden alle, dass sich etwas ändern muss. Viele große und kleine Firmen verringerten ihren CO2-Ausstoß und investierten einen Teil ihrer Gewinne in Umweltschutzprojekte, wie zum Beispiel die Wiedervernässung der Moore, die Anreicherung von Kohlenstoff in Böden (3) und die Wiederaufforstung der Wälder. Auch die Wissenschaft und Technik haben es in den letzten Jahren geschafft, zahlreiche innovative Methoden zu entwickeln, was nicht nur die Umwelt besser schützt, sondern auch den Schaden, der bereits getan war, zumindest zum Teil wieder zu beseitigen. So arbeiten auch heute noch viele Menschen daran, die Meere von eurem Müll zu reinigen und CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Das wurde dann wieder in eine Art Stein umgewandelt und unter die Erde befördert. (4)

Was die Energieversorgung angeht, so wurden die letzten Kohlekraftwerke schon vor sehr langer Zeit, im Jahr 2030, abgeschaltet. Heute kommt unser gesamter Strom von erneuerbaren Energien. Er wird nicht nur aus Wind-, sondern vor allem auch aus Sonnenenergie und teilweise aus Erdwärme und Wasserkraft gewonnen. Auf dem Dach und an den Wänden unseres Hauses zum Beispiel sind Photovoltaikanlagen, die uns mit Strom versorgen.

Auch sehen die Häuser, in denen wir heute leben vermutlich ein bisschen anders aus als bei euch damals. Fast jedes hat einen Innenhof, wo meistens nicht nur Bäume und Blumen wachsen, sondern auch Obst, Gemüse und Kräuter angebaut werden. Gewässert wird mit Regenwasser. Wenn es regnet, so sammelt sich das Regenwasser in einem Auffangbecken, mit dem die meisten Häuser ausgestattet sind. Das Wasser wird dort auch gleich gefiltert, wodurch wir außerdem einen Teil davon für die Klospülung nutzen können.

Viele Dächer, gerade auf der Straßenseite, ragen über die Hausfassade drüber, was dazu führt, dass nicht nur die Leute auf der Straße, die Möglichkeit haben, im Schatten zu gehen, sondern auch unsere Wohnungen natürlich gekühlt werden. (4)  Vor allem im Sommer ist es außerdem sehr angenehm, dass bei uns dann immer eine leichte, kühle Brise weht. Das liegt daran, dass man, als das Haus gebaut wurde, nicht nur eingeplant hat, wann und aus welchem Winkel die Sonne in die Wohnungen scheint, sondern auch, wann und aus welchen Richtungen der meiste Wind zu erwarten ist. Dementsprechend wurden Fenster und Luftschächte so positioniert, dass, wenn man möchte, die Wohnung durch Windzüge gekühlt werden kann.

Das ist übrigens nicht nur in Wohnhäusern so, sondern auch in meiner Schule und den meisten anderen Gebäuden der Stadt. (5) Allgemein gibt es bei uns außerdem viel weniger zubetonierte Flächen. Wenn ich das mit Aufnahmen aus eurer Zeit vergleiche, ist das nicht nur viel schöner, weil diese meist durch Grünflächen mit Bäumen und manchmal Wasserkanälen ersetzt wurden, sondern verhindert auch, dass es im Winter zu Überschwemmungen kommt. (6) Denn wie ich am Anfang meines Briefes erzählt habe, kann es da schon mal ziemlich viel regnen.

 

Eure Aishe

 


(1) Reusswig et al. 2016: 87: Die Aufenthaltsqualität in der Stadt soll u.a. durch das Aufstellen von Trinkbrunnen gesteigert werden.

(2) Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz 2019: “In den Wintermonaten können trotz der generellen Temperaturerhöhung aufgrund interannueller Schwankungen auch gegen Ende des Jahrhunderts Kälteereignisse auftreten. Diese werden jedoch zunehmend seltener vorkommen.”

(3) Lal et al. 2015.

(3) Oschlies/Scientists for Future 2020: https://www.youtube.com/watch?v=JDT2RW_o17M&list=PL1AaRUJkKoUHiMYjh1cdCmmvgrdLNJcwC&index=17.

(4) Reusswig et al. 2016: 76: “Die Stadt kann durch eine Vielzahl an Maßnahmen gekühlt werden. Mit einem Mehr an Schatten können angenehme Freiräume entstehen, die Aufheizung von Gebäuden gemindert, die Rückstrahlung erhöht werden. Maßnahmen der Klimaanpassung sollten schließlich nicht dazu beitragen, dass die Ziele des Klimaschutzes untergraben werden; daher ist die Ausbreitung konventioneller Klimaanlagen einzudämmen.”

(5) Reusswig et al. 2016: 137-41: Insbesondere in Bildungseinrichtungen gilt es, die Innenraumluftqualität und -temperatur zu kontrollieren, da eine Verschlechterung bzw. ein Anstieg sich negativ auf die Konzentration der Schülerinnen und Schüler auswirkt. Um schulische Leistungen nicht zu beeinträchtigen sind Maßnahmen zur Beschattung von außen durch bauliche Maßnahmen der Verschattung, Klimatisierung, Außenschutz, Fensterläden, Wärmeschutzfenster und Jalousien insbesondere in Schulen und Kitas vorzunehmen.

(6) Reusswig et al. 2016: 77: “Zentrale Stellschraube bei der Anpassung der Stadt an die Doppelbelastung aus Hitzekomplex und Starkregenereignissen ist die Klimatische Qualifizierung der Startoberfläche. Einzelmaßnahmen und Strategien - wie die einer systematischen Dach-, Fassaden- und Hofbegrünung - tragen zur klimatischen Entlastung bei und sind mit positiven Nebeneffekten (Lebensqualität, Biodiversität, etc.) verbunden.

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