31. Mai 2070

 

Liebe Menschen aus der Vergangenheit,

hallo, mein Name ist Max und ich bin 10 Jahre alt. Ich schreibe euch aus dem Jahr 2070. Vermutlich ist die Welt, in der ich heute lebe ganz schön anders als bei euch damals.

Wie wohl die meisten Kinder in eurer Zeit auch gehe ich von Montag bis Freitag in die Schule. Heute aber ist die Schule ausgefallen, wegen eines Waldbrands. Schon seit einer Woche ist es tagsüber über 30°C warm, obwohl wir noch Mai haben. Aber deswegen fällt die Schule natürlich nicht aus, sonst hätten wir ja ständig schulfrei. Die Schule ist ausgefallen, weil es in den Wäldern vor der Stadt seit gestern brennt und der Rauch bis hierher zieht. (1) Man kann heute nicht so richtig atmen und die Klamotten stinken, wenn man rausgeht. Papa hat gesagt, dass die Wälder zu meiner Zeit viel anfälliger für Insekten und Pilze sind als zu eurer Zeit. (2) Und wenn dann mal ein Sturm kommt, knicken sie reihenweise um.

Von Juli bis September wird es dann so richtig heiß. Nachts kann ich dann nicht gut schlafen, weil es oft nicht richtig abkühlt. (3)  Zwar haben wir zweieinhalb Monate Sommerferien und müssen nicht in die Schule, aber sonst gibt es bei über 30°C nicht viel mehr zu tun, als ins Freibad zu gehen. Und das ist leider auch nicht die ganze Zeit geöffnet, da die Stadt Wasser sparen muss. Zwar kann man dann immer noch an den Wannsee – aber letztes Jahr zum Beispiel, durften wir selbst dort nicht hin, weil es gerade so viele Blaualgen gab. (4) Was bleibt da sonst noch zu tun?

Oft besuche ich im Sommer dann meine Oma. Die wohnt zum Glück nicht weit weg. Vor ihrem Fenster steht ein großer Baum, der Schutz vor der Sonne spendet. Dadurch ist ihre Wohnung immer schön kühl. Ihr macht die Hitze aber so sehr zu schaffen, dass sie im Sommer kaum rausgeht. Vor zwei Jahren musste sie sogar ins Krankenhaus, weil sie ohnmächtig geworden ist. Später hat sich herausgestellt, dass sie einen Hitzschlag hatte (5). Da hatte ich ziemlich Angst, aber zum Glück ging es ihr nach ein paar Wochen wieder ganz gut.

Aber auch wenn die Hitze nervig sein kann, mag ich den Winter noch weniger. Da regnet es nur. Das stört mich eigentlich nicht, aber manchmal hätte ich schon gerne mal wieder Schnee. Das letzte Mal geschneit hat es vor zwei Jahren. (6)  Da habe ich mich sehr gefreut und dann mit meiner Schwester sogar einen Schneemann gebaut. Leider war der am nächsten Tag schon weggeschmolzen und danach kam wieder tagelang nur Regen. Sehr selten fällt auch die Schule aus, weil es so stark regnet, dass die Straßen überschwemmt sind. Das passiert schon ein paar Mal im Jahr, vor allem im Frühling und Winter. (7) Wenn man aus unserem Fenster auf die Straße rausschaut, kann man dann sehen, wie aus den Gullydeckeln das Wasser heraussprudelt. Meine Mutter hat mir erklärt, dass das Wasser nicht richtig abfließen kann, weil hier in der Stadt die meisten Flächen zubetoniert sind. (8) Dass die Schule deswegen ausfällt ist schon eher selten – meistens fällt sie wegen der Hitze aus.

Wenn ich meine Oma besuche, und das tue ich eigentlich jedes zweite Wochenende, dann sitzen wir meist gemeinsam in ihrem Wohnzimmer und sie erzählt mir von früher. So habe ich erfahren, dass die Klimakrise schon als sie jung war ein Thema war, mit dem sich viele Menschen beschäftigt haben. Sie selbst war als Schülerin sogar Teil einer Gruppe, die sich für mehr Klimaschutz eingesetzt hat. Auch heute sprechen noch viele Menschen über die Klimakrise. Wenn ich zusammen mit meinen Eltern die Nachrichten sehe, tauchen da oft Politiker*innen auf, die davon reden, dass endlich „schnell bessere Maßnahmen“ getroffen werden müssen. Was genau sie damit meinen, weiß ich nicht. Wirklich getan hat sich in den letzten Jahrzehnten ziemlich wenig, meint meine Oma. Und die Maßnahmen, die tatsächlich ergriffen wurden, kamen viel zu spät. Dabei hat sich wegen der Klimakrise schon sehr viel verändert. So sind im Sommer bei uns die meisten Pflanzen in den Parks ganz ausgetrocknet und viele sterben sogar ab. In der Schule haben wir gelernt, woran das liegt: Die Pflanzen bekommen zum einen nicht genug Wasser, zum anderen sind in den Böden, in denen sie wachsen, nicht genug Nährstoffe. Das liegt daran, dass der Boden sich durch die langen Trockenzeiten verdichtet und verhärtet. Dadurch wird es auch schwieriger für die Wurzeln der Pflanzen Halt zu fassen, die obere Schicht der Böden wird durch den Wind abgetragen. Wenn es dann plötzlich – und das kommt manchmal vor – für eine kurze Zeit ganz stark regnet, kann das Wasser nicht richtig abfließen, weil der Boden so verdichtet ist und das Wasser nicht darin versickern kann. (9) Das kann dann wiederum die Überschwemmungen noch verstärken.

Auch gibt es bei uns viel mehr Mücken als früher bei euch. Das ist nicht nur nervig, wegen der juckenden Stiche, sondern kann sogar richtig gefährlich werden. Denn einige Mücken übertragen Krankheiten, wenn sie einen stechen. Ein Schulfreund von mir zum Beispiel lag deswegen wochenlang mit hohem Fieber im Bett. Teilweise sterben sogar Menschen daran. (10)

Aber nicht nur Mückenstiche können gefährlich werden. Wenn ich im Herbst oder Winter mit unserem Hund raus in den Park spielen gehe, meint meine Mutter immer, dass nicht ins tiefe Gras und Gebüsch gehen soll. Oft kontrolliert sie danach, wenn wir wieder Zuhause sind, ob ich Zeckenbisse habe. Ich fand das früher ziemlich nervig, aber dann ist irgendwann unser Hund krank geworden. Für mehrere Tage hatte er Fieber und lag die ganze Zeit schwach auf dem Boden und konnte sich nicht bewegen. Leider ist er kurz darauf gestorben. Erst später hat sich herausgestellt, dass er einen Zeckenbiss hatte. Das ist jetzt schon eine Weile her, aber ich bin immer noch sehr traurig deswegen. Seitdem achte ich bei unserem neuen Hund jetzt selbst darauf regelmäßig zu kontrollieren, ob er von einer Zecke gebissen wurde. (11)

Das alles sind aber nur geringe Auswirkungen im Vergleich zu dem, was sich wegen der Klimakrise in anderen Teilen der Welt verändert hat. Dazu muss ich euch von Purabi erzählen.

Purabi ist erst vor einem halben Jahr mit ihren Eltern aus Bangladesch nach Deutschland gezogen. Seitdem geht sie in meine Klasse und wir haben uns angefreundet. Sie erzählt oft von ihrem Zuhause und dass sie viel lieber dortgeblieben wäre. Aber das war nicht möglich. Denn die Stadt, in der sie mit ihren Eltern gelebt hat, ist heute nicht mehr da. Durch den steigenden Meeresspiegel wurde sie überflutet und ihre Bewohner*innen, darunter Purabi und ihre Familie, mussten fliehen. (12) Zuerst zogen sie nach Dhaka. Da Purabis Eltern beide Ärzte sind, hofften sie dort leicht Arbeit finden zu können. Leider gab es dort aber ein paar Menschen, die sie nicht mochten. Purabi meint, dass das zum einen daran lag, dass ihre Familie einer anderen Religion angehört als die meisten anderen in ihrem Heimatland. Dieser Grund wird aber meist nur vorgeschoben - in Wirklichkeit hatten viele Menschen oft viel eher Angst, dass Fremde, wie Purabis Eltern und viele andere, die zu ihnen in die Stadt ziehen mussten, ihnen etwas (wie ihre Arbeit und Einkommen) wegnehmen würden. Diese Angst führte zu Misstrauen und oft sogar zu gewaltvollen Anfeindungen, sodass Purabis Eltern schließlich beschlossen, nach Europa zu kommen. Purabis Tante wohnte mit ihrer Familie bereits hier und deswegen entschieden sie sich erstmal zu ihr zu ziehen.

Auch wenn sie sich hier sicherer fühlt als vorher, hat Purabi mir erzählt, dass sie ihre Heimat sehr vermisst. Hier ist alles fremd für sie: die Sprache, die Menschen, die Umgebung. Manchmal frage ich mich, wie es wäre auf einmal von hier wegziehen zu müssen, weil keine andere Möglichkeit mehr besteht. Dann kann ich gut verstehen, wie Purabi sich fühlt.

 

Euer Max

 


(1) Reusswig et al. 2016: 94: „Im Zuge von vermehrten Trockenperioden und Hitzewellen verlängern sich die Zeiträume mit erhöhtem Waldbrandrisiko. Laub, Reisig und dichte Wälder entflammen unter diesen Voraussetzungen sehr schnell.“

(2) Seidl et al. 2017.

(3) Reusswig et al. 2016: 84: „Für die Niederschläge [in Berlin] im Sommer wird eine indifferente Entwicklung vorausgesagt. Allerdings ergibt sich eine veränderte Verteilung, mehr Starkregentage und eine deutliche Zunahme der Trockenphasen und Hitzewellen.” Es wird rund 28 Tage mit einer Maximaltemperatur >25° und 11 Hitzetage (Maximaltemperatur >30°) mehr geben. Die Zahl der heißen Nächte (Minimaltemperatur ? 20°) steigt um 8 Nächte (Climate Service Center GERICS-Bundesländer-Check 2018). Extreme Hitzeperioden erhöhen das Gesundheits- und Sterberisiko, besonders für Menschen in Städten. Dies kann zu einer Überforderung der Versorgungsdienste führen. Zudem nimmt mit steigenden Temperaturen das Risiko für Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Belastungen des Herz-Kreislaufsystems zu, was in der Folge Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz haben kann (Kjellstrom et al. 2017). Die Dekade 2010 bis 2019 war der wärmste Zehnjahreszeitraum in Deutschland wie auch weltweit seit Beginn der Messungen (Latif 2020: 47). In Deutschland wurde im Juli 2019 auch erstmals eine Temperatur über 42 Grad gemessen. Schon der heiße Sommer 2018 hatte die Gesellschaft für deutsche Sprache veranlasst, das Wort „Heißzeit“ zum Wort des Jahres zu wählen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass mit der lautlichen Analogie zu Eiszeit die epochale Dimension des Klimageschehens, das wir gerade erleben, verdeutlicht werden soll. (https//gfds.de/wort-des-jahres-2018/).

(4) Landesamt für Gesundheit und Soziales: Steigende Wassertemperaturen begünstigen die Massenvermehrung von Cyanobakterien (Blaualgen) steigen.
Umweltbundesamt 2019: Nach Starkregenereignissen können außerdem Nährstoffe in das Gewässer schwämmen, welche die Vermehrung von Cyanobakterien bedingen. Das Baden in mit Blaualgen belasteten Gewässern kann Erkrankungen wie Bindehautentzündungen oder Hautausschlag auslösen und auch die Leber schädigen.

(5) Reusswig et al. 2016: 3: “Neben leichteren Komplikationen wie Schlafstörungen oder Beeinträchtigungen der Arbeitsproduktivität kommt es bei Hitzetagen und Hitzewellen vor allem zu vermehrten Herz-Kreislauf-Notfällen (bis hin zum „Hitzschlag“), Fällen der Dehydrierung (des „Austrocknens“ aufgrund mangelnder Flüssigkeitszufuhr) und zu Atemwegserkrankungen. Besonders belastend für den menschlichen Organismus ist das Auftreten mehrerer heißer Tage nacheinander, bei denen auch nachts keine merkliche Abkühlung eintritt und keine nächtliche Erholung des Organismus erfolgt. [...] Insgesamt sind vor allem ältere Menschen, (chronisch) Kranke und Kleinkinder gefährdet.”

(6) Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz 2019: 383: “Für die Wintermonate wird im Zuge des allgemeinen Erwärmungstrends davon ausgegangen, dass die Niederschläge, die in Form von Schnee auftreten, in naher Zukunft (2031 bis 2060) um ca. 30 bis 40 % und bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um etwa 60 bis 70 % zurückgehen werden.”

(7) Reusswig et al. 2016: 38: Niederschlagsmengen werden stark zunehmen. Insbesondere im Frühling und Winter wird mit bis zu 166%, bzw. 319% mehr Starkregenereignissen gerechnet. Im stark versiegelten Stadtraum, wo der Regen kaum oder gar nicht abfließen kann, ist in Folge dessen mit Überflutungen zu rechnen.

(8) Reusswig et al. 2016: 72-74: “Die stadtweite zunehmende bauliche Verdichtung, die meist mit der Abnahme von Oberflächen mit Versickerungs- und Rückhaltefunktionen einhergeht, kann bei Starkregen zu urbanen Überflutungen führen.”

(9) Reusswig et al. 2016: 90: Hitze und wenig Niederschlag führen dazu, dass der Boden trocknet, sich verhärtet und dadurch dichter wird. Dies zieht die Vegetation in Mitleidenschaft, Pflanzen werden geschädigt oder sterben gar, wodurch weitere Bodenflächen zum Austrocknen freigelegt werden. Dauerhaft trockene Böden verlangsamen außerdem die Zersetzung der Streu, wodurch weniger Nährstoffe verfügbar sind und die Bodenqualität verschlechtert.

(10) Reusswig et al. 2016: 55: “Die Asiatische Buschmücke wurde jüngst in Deutschland nachgewiesen. Sie überträgt die in Deutschland noch exotischen Fieberarten Dengue und Chikungunya. Beide können tödlich enden.”

(11)  Reusswig et al. 2016: 54: “Zecken gelten als klimaabhängige Vektoren, ihre Verbreitung ist – neben der Existenz geeigneter Wirte – insbesondere von Temperatur und Luftfeuchtigkeit abhängig. Mit den zu erwartenden Klimaveränderungen dürfte das Infektionsrisiko steigen, insbesondere durch die Zunahme milderer Winter.” Zu berücksichtigen ist, dass sehr trockene Böden im Sommer die Aktivität von Zecken reduzieren, da sie feuchte Bedingungen brauchen, um so lange an einer Stelle auszutrocknen, bis ein Wirt vorbeikommt. Die Aktivität der Zecken verschiebt sich somit mehr in den Zeitraum Herbst bis Frühjahr.

(12) IPCC (Hg.) 2019: 383: Eine hohe Bevölkerungsdichte und das Entfernen von schützenden Pflanzen an den Küsten tragen zu deren Überflutung, Erosion und Versalzung bei. Ohne Anpassungsmaßnahmen und einem Anstieg des Meeresniveaus um 1,10m werden die Ökosysteme in der Küstenregion in weiten Teilen zerstört und die Gegend damit unbewohnbar. Hamburger Bildungsserver: Bis zum Jahr 2050 wird der Meeresspiegel um 25cm steigen und damit 4% Bangladeschs überfluten und unbewohnbar machen. 50 Jahre später, 2100, wird der Anstieg 1m betragen und 17,5% der Landfläche in Mitleidenschaft ziehen. Die Gebiete, in denen mit regelmäßigen Überschwemmungen zu rechnen ist, werden sich ebenfalls ausdehnen.

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