15. September 2070

 

Liebe Menschen aus der Vergangenheit,

ich bin's, die Gizem. Ich möchte euch heute auf einen der wichtigsten Teile meines Lebens eingehen: Die Schule.

Weil es tagsüber oft so warm wird, beginnt die Schule bereits um 06:00 Uhr am Morgen, dann haben wir mittags drei Stunden frei (1) und dafür abends, wenn es wieder kühler geworden ist, noch mal Schule bis 20:00. (2)  Zu Schulbeginn morgens bin ich oft noch ganz müde, doch in der ersten Stunde hatten wir heute Gemeinschaftskunde und das finde ich immer sehr spannend. Als meine Freunde und ich den Klassenraum betraten, schaute unsere Lehrerin ganz ernst drein und erklärte, wir würden nun über ein ganz aktuelles Thema sprechen: Den Streit zwischen Ägypten und Äthiopien um die Nutzung des Wassers des Nils. Der Konflikt ist nun eskaliert und die Menschen kämpfen mit Waffen gegeneinander. (3)

In der zweiten Stunde war Biologie angesagt. Hier lernten wir, wie wir uns vor krankheitsübertragenden Insekten wie Moskitos schützen können. Zu eurer Zeit gab es diese Gefahr in Deutschland noch nicht, doch durch die wärmeren Temperaturen fühlen sich die Tiere nun auch hier wohl. Ich habe einen Freund, der wochenlang mit Fieber im Bett lag, nachdem ihn eine Mücke gestochen hatte. Es gibt mittlerweile viele gefährliche Krankheiten, die von Tieren übertragen werden. (4)

Danach hatten wir Chemie und dort arbeiten wir zurzeit an Ideen für Maßnahmen, wie die Treibhausgasse, wie z.B.  CO2, aus der Atmosphäre geholt werden können, um den Klimawandel und den fortschreitenden Anstieg der Meeresspiegel möglichst zu begrenzen. (5) 

In der letzten Unterrichtsstunde des Vormittags hatten wir mein Lieblingsfach: Sport. Hier hatte sich unser Lehrer heute etwas Besonderes ausgedacht: einen Ski-Simulator. Zum Glück funktionierte der Strom wieder! Wir bekamen eine VR-Brille und fuhren damit durch eine verschneite Berg-Landschaft. Dabei hatte ich fast vergessen, auf einem Apparat zu stehen, denn die ungewohnte Umgebung faszinierte mich sehr, schließlich hatte es in Europa schon seit vielen Jahren kaum Schnee mehr gegeben. (6) Früher bot unsere Schule sogar regelmäßige Skilager an. Was würde ich dafür geben!

Nach diesen Unterrichtseinheiten war ich schon ganz schön geschafft, und chillte über die lange Mittagspause erst mal.

Am späten Nachmittag hatten wir als erstes Geschichte. Hier hatte unsere Lehrerin einen Gast eingeladen: den ehemaligen Rugby-Nationalspieler Tevita Ikanivere. Der heute 70jährige stammt von den Fidschi-Inseln. Früher wohnte und spielte der noch immer breit gebaute Mann in der ehemaligen Insel-Hauptstadt Suva, doch bereits zu eurer Zeit waren die Fidschi-Inseln und ihre Küsten stark vom Klimawandel betroffen. Der steigende Meeresspiegel und die dadurch ausgelösten Überflutungen zwangen die Fidschianer dazu, die Küstenorte aufzugeben. (7) Tevita musste deshalb seine Heimat verlassen, doch weil er das Erbe seines untergegangenen Landes bewahren möchte, berichtet er heute jungen Menschen wie uns aus der Vergangenheit. Ich fand das ganz schön bewegend.

In der nächsten Unterrichtsstunde hatten wir Mathematik. Hier lernten wir, was es mit dem exponentiellen Wachstum auf sich hat. Dieses beschreibt eine Entwicklung, die sich selbst beschleunigt. Das ist ganz schön schwer zu verstehen, doch es handelt sich um ein Phänomen, das uns in verschiedenen Lebensbereichen begegnet. Auch die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre erhöhte sich eine gewisse Zeit lang exponentiell und ich glaube, dass die Menschen zu eurer Zeit dieses Tempo unterschätzt haben. (8)

Das letzte Fach am heutigen Schultag war Ethik und ich hatte mich sehr darauf gefreut, denn eigentlich wollten wir einen Film über Generationengerechtigkeit anschauen und dann darüber diskutieren. Doch leider gab es einen Stromausfall, sodass der Unterricht unterbrochen werden musste. Das passiert leider in den letzten Jahren immer häufiger. (9) Naja, für allzu wichtig scheinen meine Mitmenschen dieses Fach ja leider eh nicht zu halten.

Ich hatte heute also früher Schulschluss, doch darüber freuen konnte ich mich nicht.

 

Eure Gizem

 


(1) Reusswig et al. 2016: 71: Die Erhöhung von Innenraumtemperaturen hat starke Auswirkungen auf die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit, die bereits ab 25°C deutlich abnimmt.

(2) Reusswig et al. 2016: 32: Die Zahl der Hitzetage nimmt stetig zu.

(3) Iceland 2020: Experten gehen davon aus, dass der Klimawandel negative Auswirkungen auf die Wasserressourcen haben wird, etwa durch eine Zunahme von Dürreperioden oder allgemein niedrigeren Niederschlagsmengen. Bereits 2020 stritten Indien und Pakistan um Wasserrechte am Indus.

(4) Reusswig et al. 2016: 54f.: Der Klimawandel begünstigt die Ausbreitung von krankheitsübertragenden Wirtstieren (Vektoren), die zuvor in südlicheren Gegenden beheimatet waren.

(5) Alle Emissionsszenarien des Weltklima-Rats (IPCC), die davon ausgehen, dass die Erderwärmung noch auf 2 oder gar 1,5 °C begrenzt werden kann, rechnen den Einsatz von Carbon Dioxide Removal-Technologien ein (IPPC 2018: 3). Dadurch kann der menschengemachte Treibhauseffekt abgeschwächt werden. Der Treibhausgaseffekt beschreibt den Umstand, dass bestimmte Gase in der Atmosphäre Sonnenstrahlen zur Erde lassen, abgestrahlte Wärme von der Erde jedoch nicht ins Weltall. Die Folge ist die Stauung von Wärme in der Nähe der Erdoberfläche (Rahmstorf / Schellnhuber 2019).

(6) Reusswig et al. 2016: 39: Es wird aufgrund der höheren Temperaturen zu einer deutlichen Abnahme von Schneetagen- und mengen kommen.

(7) Hartig 2018: Bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren diese Effekte des Klimawandels auf den Fidschi-Inseln zu spüren; Menschen mussten ihre Heimat verlassen.

(8) The Earth Chronicles of Life (2017).

(9) Reusswig et al. 2016: 103f: Aufgrund höherer Temperaturen und einer Zunahme von den so genannten Sommerfrösten verursachenden Trockenphasen steigt die Häufigkeit von Störungen der Stromversorgung.

Werde Teil
unserer Mission....

Laufe mit uns für zukünftige Generationen!